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Auf dem Heimweg

Martin Geiser

Es ist, wie es ist, denke ich und werfe einen letzten Blick ins Klassenzimmer zurück. Die Wände sind kahl; die farbigen Collagen, mit denen die Jugendlichen sich in der ersten Woche vorgestellt haben, sind entfernt. Die Regale sind leer. Die Stühle sind ordentlich auf die Tische gestellt, auf denen sämtliche Reste von Bleistiftnotizen am Vortag entfernt worden sind. Das Leben ist aus dem Raum verschwunden; die fröhlichen Stimmen sind verklungen.

Es ist ihr letzter Schultag gewesen.

Anfangs August werden die meisten von ihnen eine Berufslehre beginnen. Den Schritt in die Arbeitswelt wagen, auf den sie sich so gefreut haben, dem sie aber auch mit ein wenig Furcht und mit viel Respekt entgegenblicken.

Ein Jahr lang haben wir fast jeden Tag zusammen verbracht. Gemeinsam. Viele Situationen bleiben in meiner Erinnerung haften. Schöne und auch weniger erfreuliche. Das ist normal. So ist das Leben. So ist unser kleiner Mikrokosmos, die Schule.

Ich schliesse das Schulzimmer zu, steige die Treppe hinunter und begebe mich auf den Heimweg.

Fragende Gesichter sind es noch am ersten Schultag gewesen. Unsicher, was auf sie zukommen würde. Hoffnungen und Ängste. Ein verschmitztes Lächeln hier, zusammengekniffene Lippen dort. Wie jedes Jahr.

Es ist eine Reise, auf die wir uns gemeinsam begeben. Meine Klasse und ich. Und es ist eine kurze Reise. Es ist kaum zu glauben, wie rasch ein Jahr vorbeigeht.

Es waren doch noch Kinder gewesen, denen ich im vergangenen August die Hände geschüttelt hatte. Nun sind es junge Erwachsenen, von denen ich mich vor wenigen Augenblicken verabschiedet habe. Sie sind neugierig, selbstbewusst, hoffnungsvoll. Es ist wundervoll, diesen Prozess miterleben zu dürfen.

Doch kaum hat man sich etwas besser kennengelernt, naht bereits das Ende. Ein letztes Mal trifft man sich im Klassenzimmer, lässt das Jahr Revue passieren, gibt gute Tipps.

Und dann ist es vorbei.

Unwiderruflich.

Es war eine schöne Zeit, und auch wenn mir das Loslassen jedes Mal schwerfällt, so bin ich auch stolz auf meine Kids. Lange haben sie diesen Tag herbeigesehnt. Zehn oder gar elf Jahr lang die Schulbank gedrückt – das ist genug. Definitiv.

Jetzt geht’s raus ins Leben. Ich freue mich für sie. Und bin immer wieder begeistert, wenn ich sie auf der Strasse treffe. Oder wenn sie mir einen Schulbesuch abstatten. Und wenn sie erzählen.

Wie es ihnen geht. Was aus ihnen geworden ist. Wie gerne wie ans BVS zurückdenken.

Das macht Freude.

Immer wieder.

Und das ist der schönste Lohn, den man in diesem Beruf haben kann!


Martin Geiser arbeitet seit über dreissig Jahren mit Lernenden des Zyklus’ 3 und des Brückenangebots. Seine Begeisterung für Lesen und Schreiben – er hat selbst vier Romane und ein Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht – versucht er, mit seinen Schülerinnen und Schülern zu teilen.



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